Das Tätowiren war bei den alten Slaven nicht Sitte und für die Annahme, dass dasselbe ein in seiner Form verändertes Ueberbleibsel aus der vorchristlichen Zeit sei, finden sich weder in den Annalen der slavischen Urgeschichte irgend welche Anhaltspunkte, noch kann man bei den heutigen Slaven ausserhalb des Okkupationsgebietes, selbst unter der Landbevölkerung, das Tätowiren in irgend einem ausgedehnten Maasse beobachten. Es dürfte demnach in Bosnien diese Sitte kaum auf die Zeit vor der osmanischen Invasion zurückgehen. Dagegen spricht schon der Umstand, dass das Tätowiren nur bei einem Theile der trotz konfessioneller Verschiedenheit in ihren Sitten und Gebräuchen so gleichartigen Bevölkerung geübt wird. Wäre das Tätowiren ein alter Landesbrauch, so hätte es sicher eine eigene Bezeichnung. Es heisst aber im Volke lediglich »kriäi nabocati« (Kreuz einstechen), was wohl schon an und für sich auf einen jüngeren Ursprung der Sitte hindeutet. Dr. Glück meint nun folgende Erklärung gefunden zu haben: In der letzten Zeit des Königreiches war das Bogomilen thum zwar scheinbar durch den Katholicismus verdrängt, der letztere aber beim Volke bei Weitem noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen. Jenes Sektenwesen hatte in Bosnien zu lange gewährt, es-bildete zu lange das Glaubensbekenntniss der Mächtigen und der Armen, als dass es in einer kurzen Zeitspanne aus dem Gedächtniss und dem Herzen des Volkes hätte schwinden können. Haben doch Viele den Katholicismus nur äusserlich und widerstrebend angenommen und blieben im Herzen dem alten »bosnischen« Glauben treu. Als die Osmanen die Balkanhalbinsel überflutheten, hat die Bevölkerung der nacheinander eroberten Staaten nirgends in solchen Massen den mohammedanischen Glauben angenommen, als eben in Bosnien. Es ist nun selbstverständlich, dass die katholischen Priester, sobald einmal ein gewisser Stillstand eingetreten war, alle erdenklichen Mittel aufboten, um die weitere Glaubens-abschwörung zu beschränken. Da der Islam das Kreuz als Symbol des Christenthums verpönt, musste es den katholischen Priestern naheliegen, durch Einprägung des Kreuzes an einer sichtbaren Körperstelle die Annahme des mohammedanischen Glaubens zu erschweren. Wollte ein tätowirter Katholik den Glauben wechseln, so musste er vor Allem das Kreuz von seiner Haut entfernen, was aber eine recht schmerzhafte Procedur war, weil man die Haut bis in die tieferen Schichten des Coriums vernichten musste. Da jedoch das Ertragen grösser Schmerzen nicht Jedermanns Sache ist, so dürfte Mancher aus diesem Grunde vor dem entscheidenden Schritte zurückgeschreckt sein. Hätte sich aber dennoch einer entschlossen, trotzdem den Glauben zu wechseln, so wäre er durch die sichtbaren und recht ausgedehnten Narben, welche nach der Vernichtung der Tätowirung Zurückbleiben mussten, in fataler Weise als Neophyt kenntlich geblieben. Der Brauch, Tätowirungen gewöhnlich an — 448 —