aufrührerische Knieten diente. In allen Volksliedern der Hercegovina wird von der »weissen Kula« dieses oder jenes Aga gesungen, aber wer sich darunter ein Schloss oder nur ein Gebäude mit besonderen Bequemlichkeiten vorstellen wollte, würde grausam enttäuscht werden. Ein Gemach im Erdgeschoss, ein oder zwei im oberen Geschoss ist das Um und Auf dieser adeligen Sitze. Wild wie das Land war, waren seine Bewohner und deren Behausungen, die der Bedrücker des Volkes nur zur Ver-theidigung auf Tod und Leben eingerichtet. Eine Gendarmerie-Kaserne unterbricht die Einöde; eine Patrouille kreuzt den Weg; wir haben das gleiche Ziel bis zum Jovanovid Han, der einzigen Wasserstelle auf dem Wege nach Nevesinje. Einige Hütten sind noch in der Nähe. Aber es herrscht grösser Wassermangel. Cisternen und Quellen sind fast versiegt, dabei beobachten wir aber einen Transport von Eisenröhren, die zu der neuen Wasserleitung für Nevesinje bestimmt sind. Im Han wird Rast gemacht, die Pferde gefüttert und nothdürftig getränkt. Auch wir setzen uns nieder und verzehren die von Mostar mit-gebrachten Vorräthe nebst einigen Gläsern dunkeln Narentiner Weines. Es sitzt sich so gut, so friedlich in dieser Einsenkung, und doch war es vor wenigen Jahren hier noch gar nicht geheuer. Da fuhr die Post mit doppelter militärischer Bedeckung, wie es auch längs der montenegrinischen Grenze der Fall war. Nach halbstündiger Rast geht es weiter. Zuerst der Weg wieder steigend, dann in langen Serpentinen abfallend. Am Graboksattel (1109 m) ändert sich plötzlich das gesammte Landschaftsbild. Vor uns öffnet sich eine weite Ebene, vom Sonnenglanze beschienen. In der Mitte, weithin sichtbar, Forts und Befestigungen. Das soll das einst so berüchtigte Nevesinje sein? Ueppige Wiesen, auf denen Heerden weiden, wechseln mit Feldern, die allerdings schon gemäht sind, ab; die Gegend macht einen so friedlichen Eindruck, wie ein deutsches Dorf nach Feierabend. Nur die Befestigungen auf einem Hügel am Eingänge des Ortes tönen das Bild etwas kriegerisch ab. Die Hauptstrasse, die im Jahre 1888 noch ziemlich verwahrlost aussah, ist jetzt mit vielen neuen Gebäuden besetzt; an Stelle des einstmaligen Gasthauses Silberstern, das an die galizischen Dorfquartiere erinnerte, ist das grosse, vollkommen europäische »Hotel Bilid« mit schönen Restaurationsräumen getreten. Neben einer kleinen verfallenen Moschee ist eine neue gebaut worden; eine andere, wie ein erobertes Festungswerk aussehende, steht etwas abseits von der Hauptverkehrsader. Eine orthodoxe Kirche vervollständigt die religiösen Bedürfnisse von Nevesinje. Das Defensionslager am anderen Ausgange des Ortes, am Wege nach Gacko, ist der interessanteste Theil. Eine hohe Mauer mit Eckthürmen und Schiess-scharten umschliesst Kasernen, Amtsgebäude, Post, Stallungen, Cisternen und auch einige schwach gedeihende Anlagen. Hier sieht man, dass dem — 327 —