i6 HISTORISCHE EINLEITUNG. Oesterreich nur mehr eine nominelle Bedeutung haben sollte. Doch das sind Angelegenheiten, welche die Zukunft berühren. Ungleich wichtiger für die Gegenwart wäre die Idee der nationalen Wiederbelebung des Slaventhums unter der geistigen Führung der Russen, wenn dieselbe tiefere Wurzeln gefasst haben würde. Die Idee, dass das ganze Slaventhum, nicht blos auf der Balkanhalbinsel, sondern in der ganzen österreichischen Monarchie, einst der geistigen und politischen Führung der Russen folgen könnte, hat schon in der Zeit des Kaisers Franz die österreichischen Staatsmänner beschäftigt. Doch schien sie damals noch in weite Ferne gerückt; die modernen Staatsmänner aber, welche sich mit der Umgestaltung der Karte Europas beschäftigten, haben auch, wie wir aus der gedruckten Corre-spondenz von Kossuth und Giuseppe Mazzini1) erfahren, die geistige Oberherrschaft Russlands über alle Slaven vielfach in Betracht gezogen. Einmal denken sie sich eine Conföderation der Völker der Balkanhalbinsel unter Führung der Ungarn, bald wieder sehen sie in der Wiederherstellung des polnischen Reiches ein Mittel zur Bekämpfung des Russenthums am Balkan. Da sie bemerkt haben, dass die Südslaven ein vereinigtes türkischungarisches Joch jetzt nicht mehr tragen werden, so haben sie die Ideen einer Führung der Balkanvölker von Budapest aus aufgegeben. Die historische Stellung Siebenbürgens als eine östliche Vormauer gegen das Russenthum haben die Ungarn selbst zerstört. Unterdessen macht die Idee der polnischen Regeneration, die momentan auch von Frankreich begünstigt wird, recht gute Fortschritte. Es liegt ein Zug von Humor und Selbstironie darin, dass die heutigen russischen Slavophilen das Schlagwort des historischen Unrechtes in Bewegung setzen in einer Zeit, in welcher die Russen die Tscherkessen vernichten, die Armenier bedrohen, die Landessprachen in Kurland, Litthauen und Polen durch die russische Staatssprache verdrängen wollen und in welcher die Slavophilen in Böhmen und in Lemberg die Ru- *) Interessante Auszüge aus der Correspondenz Kossuth’s mit Mazzini bringt E d 1 i n ger’s „Oes terreichischeRün dsc h au”, Wien 1883, S. 6g5 bis 714, in dem Aufsatze Karl Blind’s „Mazzini über Russland und die orientalischen Fragen”.