ständig erkannt wurden, ebenso hat der Kultus des Islam gewissermaßen ein moralisches Netz geschaffen, das — gleich dem von lockigen Damen getragenen — zwar unsichtbar bleibt, aber trotzdem die äußeren Formen sichert. Jedermann weiß, daß die größte soziale Macht des Islam auf nichts anderem beruht, als der unumgänglichen Pflicht, täglich zu gewissen Stunden das Haupt gen Mekka zu kehren, und so die überlieferten Gebete mit dem schon unterbewußt gewordenen Gedanken zu sprechen; daß im selben Augenblick die Kraft Hunderter von Millionen in gleicher Richtung gesprochener Gebete sich am heiligen Ort konzentriert und von dort auf jeden zurückstrahlt. Und wie mit dem Gebet ist es mit hundert anderen scheinbar unwichtigen Riten, die schließlich instinktiv ausgeführt werden und so der Handlungsweise einen spezifischen Stempel aufdrücken. Wird dieser Ritus fortgenommen, so bleibt zunächst nicht der geringste Zwang zu gewissen, als moralisch bezeichneten, Handlungen übrig. Und daher ist nichts für die Individuen und ihr soziales Zusammenleben gefährlicher, als diese Formeln zu zerstören, ehe die durch sie gesicherte Handlungsweise sich auf innere Kultur im europäischen Sinne stützen kann. Und im ganzen Orient hat weder bei Muselmanen — wie den vorhin beschriebenen Modernisten — noch bei Christen — wie den Griechen, den Armeniern und den Arabern in Syrien — die wirkliche europäische Kultur jemals Wurzel gefaßt, sondern nur ihre äußerlichste Erscheinungsform, die man, fast ironisch, als Zivilisation bezeichnen darf. Mit anderen Worten, es hat sich 15* 227 i