HAMID UND DIE VERFASSUNG Und glücklicherweise traf ihr Wunsch hier mit dem des jungen Sultans zusammen. Hamid wollte nicht nur persönlich den Mann loswerden, den er mit Fug als seinen präsumptiven Mörder oder Gefängniswärter betrachten durfte, sondern vor allem auch die Politik, die dieser führte, und die er schon vor seinem Regierungsantritt als verderblich für das osmanische Reich und das muselmanische Khalifat erkannt hatte. Hamid war kein politischer Neuling, wenigstens nicht in der Theorie. Trotz allem, was tendenziös über seine kümmerliche Erziehung und sogar über seine Gehimschwäche erzählt worden ist, wissen die, welche ihn in seiner Jugend gekannt haben, daß er mit der größten Aufmerksamkeit und mit dem eifrigsten Wissensdrang die Prinzipien des muselmanischen Rechtes unter der Anleitung berühmter Schechs und Ulema studiert hat — und sogar seine Gegner leugnen das nicht. Hamid besaß eine festgegründete Weltanschauung, aus der er seine muselmanische Politik ebenso mathematisch ableiten mußte, wie etwa der Papst seine katholische Politik. Er fühlte sich in erster Linie als Khalife. Seine Padischahwürde erschien ihm nur als eine Anwendung jener Eigenschaft auf völkische Verhältnisse. Und sein ganzes Leben lang hat er offenbar stets die religiösen Grundsätze seiner weltlichen Macht vor Augen gehabt. Ob er das von uns angeführte Testament seines Oheims Abdul-Asis gekannt hat oder nicht: gleiche Grundsätze hat er zur Wirklichkeit machen wollen. Und sogar wenn 136