LITERATUR UND WISSENSCHAFT. 461 mehr zur einheimischen Volkssprache gewordene Serbocroatische, viel seltener das als Cultursprache dienende Italienisch angewendet. Daneben aber wurde in Ragusa in der Poesie sehr viel auch das Latein verwendet, und zwar noch lange, nachdem in Italien der Gebrauch dieser Sprache für literarische Zwecke bedeutend nachgelassen hatte. Unter diesen ältesten ragusäischen Literaten ragt der lateinische Dichter Elias de Cerva oder, wie er sich selbst nannte, Aelius Lampridius Cerva (1463—1520), hervor; in Rom erzogen (dort auch im Jahre 1485 als Dichter gekrönt), wirkte er später in seiner Vaterstadt als Lehrer, und eiferte in seinen Schriften gegen die „barbarische“ slavische Sprache, welche die edle lateinische aus Ragusa verdrängte. Dies hinderte aber nicht, dass unter seinen Zeitgenossen auch die ersten slavischen Dichter in Ragusa auftraten. Es waren dies Sisko Mencetic (Sigismund de Menze,1 1457 —1527) und der etwas jüngere I)zore Drzic (Georg Dersa), die beide hauptsächlich Liebeslieder nach Art der italienischen Nachahmer Petrarcas dichteten, mit vielen Worten und wenig Gefühl; unter denselben sind einige, was Inhalt und Form anbetrifft, ganz volksthiimlich und von den Dichtern gewiss dem Volke abgelauscht worden, somit die ältesten aufgezeichneten slavischen Volkslieder! Das XVI. Jahrhundert brachte eine ganze Reihe von Dichtern hervor, zumeist Lyriker, unter welchen der Benedictiner Mavro Vetranic (Maurus Vetrani, 1482—1576) und Dinko (Domenicus) Ranjina (1536—1607) die ersten Stellen einnehmen. Der Erste bekundet in seinen gefühlvollen, allerdings etwas langathmigen Liedern ein warmes Empfinden für die Natur, während Ranjina in seinen tiefempfundenen Liedern Vertrautheit mit den altlateinischen Dichtern an den Tag legt. Vetranic befasste sich, in Nachahmung der florentinischen „canti carnescialeschi“, auch mit Carnevals- und Spottliedern, welche Gattung von Poesie in Ragusa einen ungemein fruchtbaren Boden fand, wenn auch die späteren Producte lange nicht so unschuldig waren wie diejenigen des frommen Benedictiners. Als schönstes Erzeugnis dieser Art gilt die Jegjupka (Zigeunerin) des Andreas Cubranovic (um 1527), welche später vielfach nachgeahmt wurde. Auch die dramatische Literatur wurde eifrig gepflegt: neben Übersetzungen aus den classischen Sprachen und aus dem Italienischen wurden von Vetranic, dann von Nikola Naljeäkovic (Nale, um 1510—1587) und Marin Drzic (um 1520—1580) auch Originalstücke verfasst. Vetranic dichtete den Italienern einige Mysterien nach, während Naljeäkovic und Drzic besonders dem Pastoraldrama und dem Lustspiel sich widmeten, für welch letzteres sie in sehr gelungener Weise den Stoff dem Leben der ragusäischen Gesellschaft entnahmen. Ihren Höhepunkt erreichte die ragusäische Literatur in der ersten Hälfte des XVII. Jahrhunderts mit Gundulic, Bunic Vuöicevic und Palmotic. Dzivo Gundulic (Johann de Gondola, 1588—1638), unbestritten 1 Die Familiennamen der alten Ragusäer, vorwiegend der Adeligen, zum Theil aber auch der Bürger, hatten regelmässig eine zweifache Form, eine lateinisch-italienische und eine serbocroatische.